Alan Gilbert und das Gewandhausorchester beschwören eine Hexe und tanzen Furiant; Truls Mørk spielt die Mutter aller Cellokonzerte.
Große Gesten sind seine Sache nicht, weder im Auftreten, noch in der Musik; entsprechend vermeidet Truls Mørk in Dvořáks Cellokonzert emotionale Extreme. Was er dadurch der Dramatik des Konzerts, insbesondere des Kopfsatzes, schuldig bleibt, gleicht er durch sein einfühlsames, klangsinnliches Spiel mehr als aus. Die weit ausschwingenden melodischen Linien lassen staunend erleben, wieviel Musik auf einen einzigen Bogenstrich passt. Minutiös befolgt Mørk auch noch die unscheinbarsten Vorgaben des Komponisten, ohne sich selbst in den Vordergrund zu spielen.
Dies trifft auf das Gewandhausorchester leider nicht in gleichem Maße zu, das vor allem im dynamischen Bereich allzu ungenau spielt und das Cello mehr als einmal fast überdeckt. Auch manche Soli, z. B. der Querflöte, klingen viel lauter als vorgeschrieben und treten teils zu stark hervor. Diese Tendenz zur mangelnden klanglichen Differenzierung ist auch schon bei Konzertbeginn zu erleben. Dirigent Alan Gilbert holt das Maximum an Wirkung aus Dořáks musikalisch gewagter, dabei aber auch arg plakativer „Mittagshexe“ heraus und interpretiert das tschechische Schauermärchen als mitreißenden Psychothriller – allein: Nicht selten gerät im Eifer des Gefechts die Klangbalance aus dem Gleichgewicht. Vielleicht verlange ich zuviel, vielleicht reicht für manche Details auch schlicht die Probenzeit nicht?
Andererseits erweist sich nach der Pause Dvořáks sechste Sinfonie als Musterbeispiel an Orchesterkultur und zeigt, dass es auch deutlich besser geht. Die von Anfang bis Ende spürbare Spielfreude, das musikantische Feuer, das nicht nur im Furiant entfacht wird, gehen hier zum Glück nicht zulasten der musikalischen Feinarbeit, sondern stiften jene Einheit von stimmigem Gesamtbild und klarem Detail, die ich im ersten Konzertteil noch etwas vermisst habe.
Frank Sindermann
15. November 2018
Gewandhaus, Großer Saal
Gewandhausorchester
Alan Gilbert, Dirigent
Truls Mørk, Violoncello