Klassisches Ebenmaß

Valentino Worlitzsch spielt Elgars Cellokonzert erfreulich unsentimental, Michhail Gerts erweist sich als würdige Vertretung für den erkrankten Michael Sanderling.

Valentino Worlitzsch | (c) Felix Broede

Die Werke Edward Elgars werden außerhalb Großbritanniens nach wie vor selten gespielt. Es gibt allerdings einige Ausnahmen: die wunderbaren „Enigma“-Variationen, die effektvoll auftrumpfenden „Pomp and Circumstance“-Märsche und das Cellokonzert. Letzteres erklingt nun zum ersten Mal seit 2010 im Großen Concert; den Solopart übernimmt Valentino Worlitzsch, 1. Solo-Cellist des Gewandhausorchesters.

Von der eröffnenden dramatischen Geste des ersten bis zum virtuosen Schluss des letzten Satzes überzeugt Worlitzsch mit gestalterischer Intelligenz und Kreativität sowie wohldosierter Melancholie, die nie in rührselige Sentimentalität abgleitet. Mit klangvollem Sepia-Ton kreiert Worlitzsch genau jene nostalgische Atmosphäre, die dieses Konzert für mich auszeichnet. In den technisch anspruchsvollsten Passagen leiden vereinzelt rhythmische Präzision und Sauberkeit der Intonation; dem hervorragenden Gesamteindruck tut dies jedoch kaum Abbruch. Das Gewandhausorchester unter Leitung des kurzfristig eingesprungenen Dirigenten Mihhail Gerts erweist sich als idealer Dialogpartner des Solisten, steuert aber auch immer wieder eigene Akzente bei.

Für die Zugabe kündigt Worlitzsch an, einen Satz aus einer Cellosuite spielen zu wollen. Süffisant konterkariert er sogleich die Erwartungshaltung des Publikums: Nicht Bach, sondern Reger ist der Komponist! Dessen Cellosuiten atmen ganz den Geist des verehrten Vorbilds und unterscheiden sich vor allem in harmonischer Hinsicht von diesem.

Ein weiteres Vorbild Max Regers war Wolfgang Amadeus Mozart. Dessen Adagio und Fuge c-Moll bildeten den Auftakt des Konzerts, wobei das angespannte, präzise gespielte Adagio mehr zu gefallen wusste als die etwas holpernde Fuge. Regers Mozart-Variationen beschließen nach der Pause das Konzert. Das Gewandhausorchester zeigt sich ausnahmslos von seiner besten Seite und wirft die Frage auf, warum dieses Werk nicht viel häufiger aufgeführt wird. Gerts arbeitet die Charakteristika der einzelnen Variationen plastisch heraus und zeigt, dass er Regers strukturelles Denken ebenso ernst nimmt wie den publikumswirksamen Klangrausch. Und nun klappt es auch mit der Fuge. Begeisterter Applaus.

Frank Sindermann

29. September 2022
Gewandhaus, Großer Saal

Gewandhausorchester
Mihhail Gerts, Dirigent
Valentino Worlitzsch, Violoncello 

Fokus Böhmen: Dvořák

Alan Gilbert und das Gewandhausorchester beschwören eine Hexe und tanzen Furiant; Truls Mørk spielt die Mutter aller Cellokonzerte.

Truls Mørk © Johs Boe

Große Gesten sind seine Sache nicht, weder im Auftreten, noch in der Musik; entsprechend vermeidet Truls Mørk in Dvořáks Cellokonzert emotionale Extreme. Was er dadurch der Dramatik des Konzerts, insbesondere des Kopfsatzes, schuldig bleibt, gleicht er durch sein einfühlsames, klangsinnliches Spiel mehr als aus. Die weit ausschwingenden melodischen Linien lassen staunend erleben, wieviel Musik auf einen einzigen Bogenstrich passt. Minutiös befolgt Mørk auch noch die unscheinbarsten Vorgaben des Komponisten, ohne sich selbst in den Vordergrund zu spielen.

Dies trifft auf das Gewandhausorchester leider nicht in gleichem Maße zu, das vor allem im dynamischen Bereich allzu ungenau spielt und das Cello mehr als einmal fast überdeckt. Auch manche Soli, z. B. der Querflöte, klingen viel lauter als vorgeschrieben und treten teils zu stark hervor. Diese Tendenz zur mangelnden klanglichen Differenzierung ist auch schon bei Konzertbeginn zu erleben. Dirigent Alan Gilbert holt das Maximum an Wirkung aus Dořáks musikalisch gewagter, dabei aber auch arg plakativer „Mittagshexe“ heraus und interpretiert das tschechische Schauermärchen als mitreißenden Psychothriller – allein: Nicht selten gerät im Eifer des Gefechts die Klangbalance aus dem Gleichgewicht. Vielleicht verlange ich zuviel, vielleicht reicht für manche Details auch schlicht die Probenzeit nicht?

Andererseits erweist sich nach der Pause Dvořáks sechste Sinfonie als Musterbeispiel an Orchesterkultur und zeigt, dass es auch deutlich besser geht. Die von Anfang bis Ende spürbare Spielfreude, das musikantische Feuer, das nicht nur im Furiant entfacht wird, gehen hier zum Glück nicht zulasten der musikalischen Feinarbeit, sondern stiften jene Einheit von stimmigem Gesamtbild und klarem Detail, die ich im ersten Konzertteil noch etwas vermisst habe. 

Frank Sindermann

15. November 2018
Gewandhaus, Großer Saal

Gewandhausorchester
Alan Gilbert, Dirigent
Truls Mørk, Violoncello