Mit einer herrlich bunten, musikalisch hervorragenden „Verkauften Braut“ stimmt die Oper Leipzig auf den Sommer ein.
Die Deutschen, so hört und liest man es immer wieder, sind in Sachen Humor nicht gerade Weltmeister und gehen zum Lachen in den Keller. Wenn etwas tatsächlich einmal für komisch befunden wird, hat gefälligst ein sogenannter tieferer Sinn im Spaß zu stecken bzw. ist es erforderlich, unter einer vermeintlich harmlosen Oberfläche das Abgründige zu suchen. Ansonsten kann, wie es der wunderbare Loriot formuliert hat, „die Gefahr der Unterhaltung nicht ganz ausgeschlossen“ werden. Schlimmstenfalls droht sogar, wie es Peter Korfmacher in der LVZ nennt, „rückhaltloses Amüsiertheater“, was glatt als Beleidigung durchgehen kann.
Nun ist es durchaus legitim, die überkommenen sozialen Strukturen in Smetanas Verwechslungskomödie zu hinterfragen und Hans’ wenig einfühlsames Handeln seiner Geliebten gegenüber in den Vordergrund zu rücken – dies sehe ich hingegen nicht als Verpflichtung, sondern eher als eine von vielen Optionen, sich mit der Oper auseinanderzusetzen.
Auch Regisseur Christian von Goetz verlangt in seinem Programmheft-Beitrag, dass man „die Tiefen des Stücks betonen“ müsse, liefert am Ende aber vor allem eine urkomischen Bühnenshow ab, die in erster Linie das „Entertainmentpotenzial“ einlöst, von dem er selbst spricht. Die Bühne beim Soloauftritt Maries in blaues Licht zu tauchen, reicht für sich genommen nicht aus, um ein deutliches Gegengewicht zum zirkusmäßigen Umfeld herzustellen.
Mich stört das weniger: Ich fühle mich bestens unterhalten und ertappe mich stellenweise bei minutenlangem Dauergrinsen. Dies gilt vor allem in den Szenen mit dem halbseidenen Heiratsvermittler Kezal, den der fantastische Sebastian Pilgrim mit sonorer, geschmeidiger Stimme und ansteckender Spiellaune verkörpert. Wie er als Kezal zwanghaft fröhlich mit Konfetti wirft, mit tiefsten Tönen und übertrieben ausgesungenen Verzierungen kokettiert oder den Frust des Heiratsvermittlers zeigt, wenn einmal etwas nicht nach Plan läuft, macht einfach nur Spaß.
Magdalena Hinterdobler tariert in ihrem Rollendebüt als Marie gekonnt die lyrische und die komische Seite der Rolle aus und wechselt souverän zwischen berührendem Belcanto-Wohlklang und soubrettenhafter Leichtigkeit und verleiht ihrer Figur darstellerisch jene charmante Widerborstigkeit, die lyrischen Sopranen oft vorenthalten bleibt. Eine ganz hervorragende Leistung, die in jeder Hinsicht überzeugt.
Patrick Vogel singt und spielt einen jugendlichen Hans, dem eigentlich niemand böse sein kann und dessen moralisch fragwürdiger Handel mit Kezal eher wie ein spontaner Dummejungenstreich denn ein kaltschnäuziger Plan wirkt. Vogels heller Tenor überzeugt in der Höhe mit großer Strahlkraft und verfügt in der Mittellage über Leichtigkeit und Eleganz.
Auch in den übrigen Rollen bleiben keine Wünsche offen. Hervorzuheben ist vor allem Sven Hjörleifsson, der das Muttersöhnchen Wenzel und dessen Emanzipation von der Muter mit Witz und Herz spielt und singt. Dass komponiertes Stottern auch im 21. Jahrhundert noch allgemein belacht wird, ist nicht seine Schuld, gehört für mich aber zu den wenigen Aspekten der Oper, die nicht zeitlos sind.
Sandra Maxheimer und Franz Xaver Schlecht sind als Maries verunsicherte Eltern ebenfalls sehr gut besetzt, werden allerdings mitunter von Sebastian Pilgrims besonders großer Bühnenpräsenz etwas in den Hintergrund gedrängt. Martin Petzold überzeugt als abgehalfterter Zirkusdirektor Springer ebenfalls auf ganzer Linie.
Der Chor macht seinem exzellenten Ruf erneut alle Ehre und wird den hohen musikalischen Anforderungen der Oper ebenso gerecht wie den szenischen des Regisseurs, der ihn einmal vor einem Bären fliehen, ein anderes Mal sackhüpfen lässt.
Ohnehin ist eine Menge los auf der multifunktionalen Bühne Dieter Richters, die sich immer wieder wie ein Karussell von Szene zu Szene dreht und durch eine durchsichtige Wand manchmal auch Geschnisse in Nebenräumen zeigt. Mir ist die Dynamik des Bühnengeschehens manchmal etwas zu viel des Guten, aber gerade in der Zirkusszene entfaltet das bunte Treiben samt waschechten Artisten eine ganz eigene Faszination.
Ein ganz besonderes Lob gebührt Sarah Mittenbühler und ihrem Team für die fantasievollen und enorm aufwändigen Kostüme, von denen keines dem anderen zu gleichen scheint. Zusammen mit dem grellen Make-up und den kurios windschiefen Frisuren passt auch dieser Teil der Ausstattung ganz wunderbar ins Gesamtbild.
Das Gewandhausorchester unter der inspirierten und umsichtigen Leitung Christoph Gedscholds beweist schon in der höllisch schweren Ouvertüre, in welcher Bestform es heute spielt. Da klappert nichts, die wahnwitzig schnellen Läufe schnurren ab wie ein Uhrwerk und auch im weiteren Verlauf des Abends ist es eine wahre Freude, sich hin und wieder vom Bühnenspektakel ab- und dem Orchestergraben zuzuwenden, aus dem es glänzt und blitzt, poltert und stampft, sich verdunkelt und erstrahlt. Oder wie es am Ende des ersten Aktes heißt:
Violin’ und Klarinette
Jauchzen trillernd um die Wette
Selbst dem alten Rumpelbass
Macht das tolle Wesen Spass.
Frank Sindermann
15. Juni 2019 (Premiere)
Oper Leipzig