Jaap van Zweden dirigiert im Gewandhaus die wohl unpassendste Geburtstagsmusik aller Zeiten sowie Werke von Mozart und Beethoven in c-Moll.
So hatten sich das die japanischen Auftraggeber ganz und gar nicht vorgestellt: Statt zum 2600-jährigen Bestehen der Mikado-Dynastie eine prächtige Festmusik zu komponieren, lieferte Benjamin Britten ihnen ausgerechnet ein sinfonisches Requiem, das er auch noch seinen eigenen Eltern widmete. Dass dieser Beitrag damals nicht gespielt wurde, überrascht nicht; dass die Sinfonia da Requiem seither zu einem der beliebtesten Werke des britischen Komponisten wurde, allerdings ebensowenig: Selten sind Trauer, Zorn und Trost so ergreifend in Musik gefasst worden. Jaap van Zweden vermittelt den Stimmungsgehalt sehr überzeugend und legt gleichzeitig eine Sorgfalt im Detail an den Tag, die andere Dirigenten bei diesem Werk mitunter vermissen lassen. Ein Beispiel: Oft werden die erschreckenden Eröffnungstakte der Sinfonia bereits extrem laut gespielt, sodass ich im heutigen Konzert zunächst fast ein wenig enttäuscht bin und mich frage, ob hier nicht ausdrucksmäßig noch etwas Luft nach oben wäre. Ein Blick in die Partitur verrät allerdings, dass Britten am Anfang „ff“ vorschreibt, bei der Reprise hingegen „fff“, diese also noch lauter gespielt haben möchte. Und tatsächlich: Bei der Wiederkehr der pochenden Anfangstakte steigert van Zweden die Lautstärke noch einmal signifikant.
Diese Aufmerksamkeit fürs Detail zeichnet auch die zwei anderen Aufführungen des Abends aus, allerdings kommen diese interpretatorisch eher altbacken daher und überzeugen mich nur halb. Dies gilt vor allem für Mozarts dramatisches c-Moll-Konzert, das viel zu harmlos angegangen wird. Dies wird vor allem im Vergleich zur Lesart Alexander Shelleys deutlich, der dieses Konzert am selben Ort vor zwei Wochen dirigiert hat und mit dem MDR-Sinfonieorchester eine im Detail weniger perfekte, emotional aber um Längen mitreißendere, frischere Version präsentiert hat. Auch David Frays Spiel überzeugt mich weniger als dasjenige Gabriela Monteros, die noch klarer, vor allem aber engagierter gespielt hat. Technisch gibt es bei Fray nichts zu beanstanden – ganz im Gegenteil – und stilistisch haben er und das Gewandhausorchester sich auch nichts vorzuwerfen – und dennoch: Mehr als aufpolierter Durchschnitt, als gepflegte Langeweile entsteht heute leider nicht.
Frays Zugabe, Bachs Choralvorspiel über „Nun komm der Heiden Heiland“ in der Busoni-Fassung, ist wunderbar differenziert gespielt. Fray arbeitet die einzelnen Register derart prägnant heraus, dass man meint, eine Orgel oder ein Kammerensemble zu hören.
Nach der Pause folgt dann Beethovens Fünfte, deren ersten Satz van Zweden eher zügig angeht. Das Orchester braucht einige Takte, um in den Tritt zu kommen, folgt dann aber präzise den differenzierten Gesten des Dirigenten, der energiegeladen den vollen Aktionsradius des Podiums ausschöpft. Trotzdem bleibt dieser Satz ein wenig blass und gerät zum ausdrucksmäßig etwas langweiligen Kompromiss zwischen romantischem Drängen und klassischer Beherrschung. Das Andante ist hingegen unbedingt hörenswert. Mit viel Liebe zum Detail und dem nötigen langen Atem wird dieser Satz zum Höhepunkt der Aufführung. Auch das geheimnisvoll-skurrile Scherzo und der triumphale Schlusssatz reißen mit und entfalten einen Sog, der sogar die schier endlosen Schlussfloskeln übersteht. Dass der erlösende Schlussakkord dann noch klanglich extra aufgebrezelt wird, sei um der Wirkung willen verziehen.
Frank Sindermann
25. Oktober 2018
Gewandhaus, Großer Saal
Gewandhausorchester
Jaap van Zweden, Dirigent
David Fray, Klavier