Kontraste

Sergei Babayan und Rafael Payare lassen im Gewandhaus gekonnt die Kontraste aufeinanderprallen.

Sergei Babayan © Marco Borggreve

Im heutigen Großen Concert stehen zwei Klavierkonzerte auf dem Programm, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Den Anfang macht Alfred Schnittkes vielgestaltiges Konzert für Klavier und Streichorchester von 1979. In ihrem sehr persönlich geschriebenen, literarisch vielleicht etwas überambitionierten Einführungstext träumt sich Ann-Kathrin Zimmermann assoziativ einmal quer durch die Musikgeschichte und füllt so den Begriff der Polystilistik, der immer wieder im Zusammenhang mit Schnittke genannt wird, anschaulich mit Leben. Dabei nennt sie kurioserweise jenen Namen nicht, an den ich während der Aufführung ständig denken muss: Franz Liszt. Dessen berüchtigte H-Moll-Sonate hat mit Schnittkes Konzert vieles gemein: die Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit, das Beginnen und Enden im Nichts, das Nebeneinander unterschiedlichster Ausdruckscharaktere auf engstem Raum und nicht zuletzt die Motivik, vor allem die hämmernden Ton- und Akkordrepetitionen.

Sergei Babayans Interpretation ist eindringlich, aber nie sentimental. Schon die ersten fragenden Gesten spielt er derart lapidar, dass klar wird, was der Komponist gemeint hat, als er das Konzert als „schlafwandlerisch“ beschrieb. Hier wird kein künstliches Pathos aufgebaut, sondern zugelassen, dass die Musik sich gleichsam neutral im Raum entfaltet. Man fühlt sich an manche Stücke Erik Saties erinnert, die einen ähnlich unromantischen, sachlichen Schwebezustand evozieren. Selbst in den dissonantesten Tonclustern, den virtuosesten Akkordbrechungen behält Babayans Spiel jenen automatenhaften Charakter bei, der Schnittke wohl vorschwebte. Die Streicher des Gewandhausorchesters realisieren ihren Part ebenfalls in vorbildlicher Weise. Sie spielen die diffizilen mikrotonalen Passagen, als täten sie nie etwas anderes, fahren den grotesken Walzer ungerührt gegen die Wand, verschmelzen hier mit dem Klavier, um ihm dort unversöhnlich entgegenzutreten, um das Konzert schließlich in sphärischen Flageoletttönen verklingen zu lassen. Ein großartiges Stück, intelligent interpretiert.

Der nun folgende Mozart lässt mich etwas kalt. Dabei haben sich weder der Solist noch das Orchester viel vorzuwerfen; mir fehlt eher ein übergeordnetes Konzept, eine dramaturgische Idee, die der Aufführung das gewisse Etwas verliehen hätte. Dieser Mozart klingt weder altmodisch noch besonders frisch, Ausdrucksextreme werden weitestgehend vermieden – sogar im tiefsinnigen Andantino – und Babayans Passagenspiel klingt weder angestrengt noch völlig locker. Das „Jenamy“/“Jeunehomme“-Konzert ist wunderschön und auch heute Abend hörenswert, hinterlässt bei mir jedoch keinen bleibenden Eindruck. Die als Zugabe gespielte „Aria“ aus Bachs „Goldberg-Variationen“ kann durchaus als Gruß in die Thomaskirche verstanden werden, wo jenes Werk heute von Lang Lang interpretiert wird. Vielleicht ist das Gewandhaus auch deshalb heute nicht ganz ausverkauft?

Hat sich Dirigent Rafael Payare im ersten Teil des Konzerts eher zurückgehalten (beim Mozart vielleicht etwas zu sehr), erweist er sich nach der Pause als wahrer Klangfarben-Magier. Selten habe ich Prokofjews publikumswirksame Sinfonie Nr. 5 derart durchhörbar erlebt. Von der klanglichen Transparenz, die Payare selbst im dichtesten Tutti-Getümmel erzielt, könnte sich ein Andris Nelsons manche Scheibe abschneiden, dem derartige Stellen oft zu lautem Einerlei geraten. Payare arbeitet die Charaktere der Sätze präzise heraus und reagiert aufmerksam auf jedes Detail. Er setzt die musikalischen Strukturen stringent um und lässt doch den vorzüglichen Solistinnen und Solisten des Gewandhausorchesters Raum zur Enfaltung. Dass ausgerechnet die letzten Takte rhythmisch etwas auseinanderdriften, ist etwas schade, trübt den hervorragenden Gesamteindruck aber kaum. Begeisterter Applaus.

Tipp: MDR Kultur überträgt das Konzert am 17. März ab 20:05 Uhr.

Frank Sindermann

5. März 2020
Gewandhaus, Großer Saal

Gewandhausorchester zu Leipzig
Sergei Babayan, Klavier
Rafael Payare, Dirigent

Meer als genug

Andris Nelsons eröffnet die 239. Gewandhaus-Saison mit Mozart, Debussy und Strawinsky.

Katsushika Hokusai: „Die große Welle vor Kanagawa“

Die Pressemappe zur 239. Gewandhaus-Saison wirbt mit dem Slogan „Frischer Wind überall“, was mir doch etwas übertrieben erscheint: Der Bruckner-Zyklus wird fortgesetzt, Herbert Blomstedt dirigiert Brahms, zum Jahreswechsel erklingt Beethovens Neunte, das Stadtteilprojekt geht weiter, es gibt mit HK Gruber einen zweiten Gewandhaus-Komponisten etc. Das ist alles durchaus erfreulich – aber frischer Wind?

Das Programm des Eröffnungskonzerts ist jedenfalls deutlich weniger ambitioniert als vor einem Jahr (https://brahmsianer.de/auftakt-in-ueberlaenge), aber dafür klug zusammengestellt. Gerade die Kombination von Debussys „La Mer“ und Strawinskys „Feuervogel“-Suite überzeugt, zeigt sie doch spannende Parallelen dieser auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Musik auf. Hierzu hätte auch Bartóks 3. Klavierkonzert sehr gut gepasst, das wegen einer Absage des Pianisten András Schiff leider entfällt.

Am Anfang des Konzerts steht nun stattdessen Mozarts Klavierkonzert G-Dur KV 453, das Martin Helmchen sehr klangschön und sensibel spielt. Es ist ein introvertierter, fast melancholischer Mozart, den wir in den ersten beiden Sätzen hören; im abschließenden Variationensatz herrscht dann reine Spielfreude. Das Gewandhausorchester unter Andris Nelsons hält sich über weite Strecken dezent im Hintergrund, setzt aber immer wieder auch eigene Akzente. Aufhorchen lassen vor allem die fabelhaften Holzbläser, die sich allerdings klanglich nicht immer gegen das Klavier durchsetzen können. Alles in allem eine sehr geschmackvolle, stilsichere Aufführung, die Lust auf mehr Mozart im Gewandhaus macht! Als Zugabe spielt Helmchen den langsamen Satz aus der Klaviersonate KV 332 – als intimes Selbstgespräch in vollendeter Klangkultur.

Genau jene Klangkultur vermisse ich nach der Pause in Debussys „La Mer“ hin und wieder. Während der wunderbar zarte, schwebende Beginn noch Anlass zu schönster Hoffnung gibt, wird die filigrane Struktur der Komposition im weiteren Verlauf des ersten Satzes ungeachtet schöner bis schönster Details nicht immer klar genug herausgearbeitet. Vor allem dessen Ende gerät Nelsons im Überschwang der Emotionen allzu effekthascherisch und laut. Weniger wäre hier eindeutig mehr gewesen. †††††††††††

Der zweite Satz ist ein wahres Fest großartiger Soli von Flöte, Oboe, Klarinette, Trompete, Harfen, … und ist klanglich deutlich besser abgemischt. Den dritten Satz präsentiert Nelsons als spannungsgeladenen Kampf der Elemente, dessen rhythmisch vertrackten Schluss er mustergültig realisiert.

Im „Feuervogel“ stimmt dann praktisch alles: Das schwermütige Wiegenlied gelingt ebenso überzeugend wie der wahnsinnige Tanz des bösen Königs, der anmutig schwebende Tanz des Feuervogels ebenso wie das prächtige Finale. Begeisterter Applaus für einen sehr gelungenen Saisonauftakt.

Frank Sindermann

31. August 2019
Gewandhaus, Großer Saal

Gewandhausorchester
Andris Nelsons, Dirigent
Martin Helmchen, Klavier

Wenn Worte nicht ausreichen

Michael Sanderling dirigiert mit Schostakowitsch’ Sinfonie-Kantate „Babi Jar“ ein musikalisches Mahnmahl gegen das Vergessen.

Shalom Goldberg: Babi Jar; Lizenz: Public Domain

Schostakowitsch’ Sinfonie „Babi Jar“ macht es niemandem leicht; nicht dem Orchester, nicht dem Männerchor und ebensowenig dem Solo-Bass – vom Publikum ganz zu schweigen. Neben dem hohen musikalischen Anspruch liegt dies vor allem am emotional aufwühlenden Thema dieser sinfonischen Kantate, die ein Massaker an Zehntausenden Juden im Jahr 1941 durch die SS in eindringlichen Bildern heraufbeschwört. Angesichts sowjetischer Verdrängungspolitik sah sich Schostakowitsch genötigt, jenes Grauen Klang werden zu lassen, für das es kaum Worte gibt.

Ich zolle allen Beteiligten des heutigen Konzerts meinen höchsten Respekt: dem warm timbrierten Bass Peter Nagy, dessen starke Präsenz immer wieder für Momente großer Intensität sorgt; den Herren des MDR-Chores samt Verstärkung, die den Unisono-Marathon intonationssicher und präzise meistern; dem Gewandhausorchester, das ich zu den führenden Schostakowitsch-Orchestern überhaupt zähle, und dem Dirigenten, der bei aller Komplexität und durch alle emotionalen Wechselbäder hindurch stets die Fäden in der Hand hält. Eine wirklich beeindruckende Aufführung, getragen vom unbedingten Einsatz aller Mitwirkenden.

Gleichwohl lässt mich die Sinfonie eher befremdet als berührt zurück. Dieses ungefilterte musikalische Nachzeichnen der Textvorlagen, das zudem noch für das falsche Abwiegen betrügerischer Ladenbesitzer vergleichbar drastische Ausdrucksmittel in Anschlag bringt wie für den organisierten Massenmord, wirkt auf mich stellenweise recht banal und derart auf emotionale Wirkung berechnet, dass man fast von negativem Kitsch sprechen könnte. Manchmal ist eine Schweigeminute vielleicht wirkungsvoller als alle Versuche, den Schrecken musikalisch zu illustrieren. Dies ändert freilich nichts daran, dass Schostakowitsch damals viel riskiert hat, um die problematische Vergangenheitsbewältigung seiner Zeit anzuprangern, und damit ein wichtiges politisches Zeichen gesetzt hat. Die Sinfonie ist in jedem Fall, wie immer man sie ästhetisch bewerten mag, ein bewegendes musikalisches Zeitdokument.

Das Mozart-Konzert vor der Pause passt nicht nur überhaupt nicht zur Schostakowitsch-Sinfonie, sondern ist vom Orchester derart uninspiriert und ungenau gespielt, dass ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, die intensive Vorbereitung auf „Babi Jar“ habe am Ende vielleicht nicht mehr genug Probenzeit für den Mozart übriggelassen. Dies ist umso bedauerlicher, als Martin Helmchen ein hervorragender Mozart-Interpret ist, dessen Darbietung durchweg überzeugt. Sein glasklarer Anschlag, das perlende Passagenspiel, die kluge Phrasierung und die gestalterische Fantasie sind der Stoff, aus dem Träume gemacht werden. Leider ist das Orchester nicht so gut in Form wie der Pianist bzw. nicht hundertprozentig bei der Sache. Wirft hier Schostakowitsch bereits seinen Schatten voraus? Vielleicht rächt sich aber auch nur das allgemeine Haydn- und Mozart-Defizit des Orchesters, dessen sinfonisches Kernrepertoire zur Zeit erst mit Beethoven zu beginnen scheint?

Frank Sindermann

7. Februar 2019
Gewandhaus, Großer Saal

Gewandhausorchester
Michael Sanderling, Dirigent
Martin Helmchen, Klavier
Herren des MDR-Rundfunkchores und Gäste
Michael Nagy, Bass

Ein Requiem zum Jubiläum

Jaap van Zweden dirigiert im Gewandhaus die wohl unpassendste Geburtstagsmusik aller Zeiten sowie Werke von Mozart und Beethoven in c-Moll.

David Fray (c) Paulo Roversi (von IMG Artists)

So hatten sich das die japanischen Auftraggeber ganz und gar nicht vorgestellt: Statt zum 2600-jährigen Bestehen der Mikado-Dynastie eine prächtige Festmusik zu komponieren, lieferte Benjamin Britten ihnen ausgerechnet ein sinfonisches Requiem, das er auch noch seinen eigenen Eltern widmete. Dass dieser Beitrag damals nicht gespielt wurde, überrascht nicht; dass die Sinfonia da Requiem seither zu einem der beliebtesten Werke des britischen Komponisten wurde, allerdings ebensowenig: Selten sind Trauer, Zorn und Trost so ergreifend in Musik gefasst worden. Jaap van Zweden vermittelt den Stimmungsgehalt sehr überzeugend und legt gleichzeitig eine Sorgfalt im Detail an den Tag, die andere Dirigenten bei diesem Werk mitunter vermissen lassen. Ein Beispiel: Oft werden die erschreckenden Eröffnungstakte der Sinfonia bereits extrem laut gespielt, sodass ich im heutigen Konzert zunächst fast ein wenig enttäuscht bin und mich frage, ob hier nicht ausdrucksmäßig noch etwas Luft nach oben wäre. Ein Blick in die Partitur verrät allerdings, dass Britten am Anfang „ff“ vorschreibt, bei der Reprise hingegen „fff“, diese also noch lauter gespielt haben möchte. Und tatsächlich: Bei der Wiederkehr der pochenden Anfangstakte steigert van Zweden die Lautstärke noch einmal signifikant.

Diese Aufmerksamkeit fürs Detail zeichnet auch die zwei anderen Aufführungen des Abends aus, allerdings kommen diese interpretatorisch eher altbacken daher und überzeugen mich nur halb. Dies gilt vor allem für Mozarts dramatisches c-Moll-Konzert, das viel zu harmlos angegangen wird. Dies wird vor allem im Vergleich zur Lesart Alexander Shelleys deutlich, der dieses Konzert am selben Ort vor zwei Wochen dirigiert hat und mit dem MDR-Sinfonieorchester eine im Detail weniger perfekte, emotional aber um Längen mitreißendere, frischere Version präsentiert hat. Auch David Frays Spiel überzeugt mich weniger als dasjenige Gabriela Monteros, die noch klarer, vor allem aber engagierter gespielt hat. Technisch gibt es bei Fray nichts zu beanstanden – ganz im Gegenteil – und stilistisch haben er und das Gewandhausorchester sich auch nichts vorzuwerfen – und dennoch: Mehr als aufpolierter Durchschnitt, als gepflegte Langeweile entsteht heute leider nicht.

Frays Zugabe, Bachs Choralvorspiel über „Nun komm der Heiden Heiland“ in der Busoni-Fassung, ist wunderbar differenziert gespielt. Fray arbeitet die einzelnen Register derart prägnant heraus, dass man meint, eine Orgel oder ein Kammerensemble zu hören.

Nach der Pause folgt dann Beethovens Fünfte, deren ersten Satz van Zweden eher zügig angeht. Das Orchester braucht einige Takte, um in den Tritt zu kommen, folgt dann aber präzise den differenzierten Gesten des Dirigenten, der energiegeladen den vollen Aktionsradius des Podiums ausschöpft. Trotzdem bleibt dieser Satz ein wenig blass und gerät zum ausdrucksmäßig etwas langweiligen Kompromiss zwischen romantischem Drängen und klassischer Beherrschung. Das Andante ist hingegen unbedingt hörenswert. Mit viel Liebe zum Detail und dem nötigen langen Atem wird dieser Satz zum Höhepunkt der Aufführung. Auch das geheimnisvoll-skurrile Scherzo und der triumphale Schlusssatz reißen mit und entfalten einen Sog, der sogar die schier endlosen Schlussfloskeln übersteht. Dass der erlösende Schlussakkord dann noch klanglich extra aufgebrezelt wird, sei um der Wirkung willen verziehen.

Frank Sindermann

25. Oktober 2018
Gewandhaus, Großer Saal

Gewandhausorchester
Jaap van Zweden, Dirigent
David Fray, Klavier

Ist es wirklich schon so spät?

Alexander Shelley lässt im „Zauber der Musik“ Debussys Faun entspannt träumen, dreht dafür bei Brahms das Tempo auf; Gabriela Montero sprengt in Mozarts c-Moll-Klavierkonzert effektvoll den klassischen Rahmen.

Gewandhaus mit Mendebrunnen © Florian Koppe (CC BY-SA 3.0)

Alexander Shelleys Dirigierstil kann man vielleicht am besten mit dem etwas altmodischen Wort „schneidig“ bezeichnen; mit schnellen, präzisen, beinahe zackigen Gesten teilt Shelley Phrasen in Takte und Takte in Schläge, ohne dabei aber die Musik zu zerhacken – am Ende fügt er das klar Gegliederte wieder zu einem organischen Ganzen zusammen. Das ist faszinierend zu beobachten und überzeugt heute Abend vor allem in Mozarts c-Moll-Klavierkonzert, in dessen Kopfsatz Shelley die dramatische Energie wunderbar kanalisiert und klar auf den Punkt bringt. Das MDR-Sinfonieorchester spielt unter seiner Leitung einen modernen, frischen Mozart, der stilistisch voll auf der Höhe der Zeit ist und mit schlankem, kernigem Klang begeistert.

Den Klavierpart spielt die venezolanische Pianistin Gabriela Montero, die vor allem für ihr Improvisationstalent, aber auch ihr politisches Engagement berühmt ist. Letzteres zeigt sich heute Abend, als Montero das Entrollen der venezolanischen Flagge im Zuschauerraum mit einem „Gefällt mir!“-Daumen honoriert, ersteres äußert sich vor allem in der virtuosen Solokadenz des ersten Satzes und in der Zugabe, die sie nach Zuruf aus dem Publikum über den Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ improvisiert.

Monteros lebhaftes, klar akzentuiertes Mozart-Spiel passt bestens zu Shelleys forscher Interpretation des Orchesterparts. Die Kommunikation zwischen Montero und Shelley funktioniert tadellos und trägt ihren Teil zum runden Gesamteindruck bei.

Der zu Beginn des Konzerts gespielte „Nachmittag eines Fauns“ weiß vom zauberhaften Flötensolo zu Anfang bis zum Verklingen des letzten Tons vollauf zu überzeugen. Shelley widersteht gekonnt der Versuchung, aus der komponierten Bewegungslosigkeit des Stücks auszubrechen und lässt die vielen klanglichen Farbnuancen in immer neuen Kombinationen aufleuchten und wieder verlöschen.

Nach der Pause gibt es dann Brahms’ zweite Sinfonie. Shelley scheint all jene Lügen strafen zu wollen, die seit der Uraufführung den pastoralen, frühlingshaft-freundlichen Ton der Sinfonie betonen, indem er nicht nur (zu) schnelle Tempi wählt, sondern auch die durchaus vorhandenen dramatischeren Passagen des Kopf- und Finalsatzes etwas einseitig in den Vordergrund rückt. Das Seitenthema des ersten Satzes wird so zur vernachlässigten Episode, die flüchtig vorüberhuscht. Dem gesamten Satz fehlt die nötige Luft zum Atmen, alles wirkt unangenehm gehetzt und hyperaktiv. Das ist vor allem deshalb schade, weil das MDR-Sinfonieorchester soviel Schönes anzubieten hat, vor allem die grandiosen Holzbläser. Selbst dem strahlenden Blechbläser-Jubel des Schlusssatzes scheint Shelley nicht zu trauen und bietet stattdessen schrilles Siegesgeschrei. Das ist nicht schön, aber effektvoll, wie der tosende Beifall beweist. Viel besser gelingen hingegen die Mittelsätze, vor allem das originelle Scherzo. Hier erweist sich Shelleys präzise, energische Schlagtechnik als das Mittel der Wahl.

Frank Sindermann

14. Oktober 2018
Gewandhaus, Großer Saal

MDR-Sinfonieorchester
Alexander Shelley, Dirigent
Gabriela Montero, Klavier