Marin Alsop dirigiert im Großen Concert Werke, die (fast) niemand kennt, und entzündet ein wahres Klangfeuerwerk.
In Anspielung auf das Lied mit der Muh und der Mäh wirbt das Gewandhausorchester zur Zeit auf vielen Anzeigetafeln in der Stadt damit, zu Weihnachten doch Gutscheine für „Tschingderassabumm“ zu verschenken. Das heutige Große Concert bietet davon reichlich, soviel steht fest.
Den Anfang macht Aaron Coplands Suite zum Ballett „Appalachian Spring“, die laut Programmheft – man kann es kaum glauben – noch nie zuvor im Gewandhaus gespielt wurde. Marin Alsop dirigiert klar und präzise und arbeitet die Feinheiten dieser zugleich schlichten und effektvollen Musik deutlich heraus. Dabei gelingen ihr die kontemplativen Rahmenteile ebenso gut wie die lebendigen, überschwänglichen Mittelsätze. Das Gewandhausorchester lässt seine Farben leuchten wie lange nicht mehr, betört durch makellose Soli (Flöte!) und lässt sich auch durch die zahlreichen Tempo- und Taktwechsel nicht aus der Bahn werfen. Wunderbare Musik, wunderbar gespielt.
Dies gilt auch für Ravels Klavierkonzert, das an spieltechnischen Herausforderungen noch eine Schippe drauflegt. Marin Alsop gelingt es scheinbar mühelos, den komplexen Orchestersatz und den akrobatischen Klavierpart zusammenzuhalten. Mit letzterem müht sich Javier Perianes, was man ihm jedoch niemals anmerkt. Ob die Schlagzeugeffekte im Kopfsatz oder der eigentümlich entrückte Gesang des Adagios: Perianes findet für alles den richtigen Anschlag und das richtige Timing. Als Zugabe spielt er Griegs Notturno Op. 54 Nr. 4, dessen Modernität in diesem Kontext besonders auffällt – klingt doch der Mittelteil schon arg nach Debussy.
Nach der Pause stehen Leonard Bernsteins „Chichester Psalms“ und Ravels zweite Orchestersuite aus dem Ballett „Daphnis et Chloé“ auf dem Programm. Hier tritt jeweils der Gewandhauschor hinzu und beweist auf beeindruckende Weise seine Vielseitigkeit. Von den hebräischen Texten in Bernsteins Psalmvertonung bis zu den orchestral behandelten Vokalisen in Ravels Ballettspektakel scheint dem Chor keine Herausforderung zu groß. Ruben Lorenz lässt sich seine sicherlich nicht unerhebliche Aufregung kaum anmerken und singt Bernsteins Knabensolo intonationssicher und gefühlvoll.
Das Konzert des heutigen Abends bietet ein Feuerwerk an glanzvollen Klangzaubereien und hätte sicherlich ein noch größeres Publikum angezogen, wenn die Werke nicht gar so unaussprechliche Namen hätten und schlichtweg bekannter wären. Publikumswirksam ist diese Musik in jedem Fall – oder anders gesagt: Mehr „Tschingderassabumm“ geht nun wirklich nicht!
Frank Sindermann
29.11.2018
Gewandhaus, Großer Saal
Gewandhausorchester
GewandhausChor
Marin Alsop, Dirigentin
Javier Perianes, Klavier