High Noon im Opernhaus

In Rolando Villazóns charmanter „Liebestrank“-Inszenierung reichen sich fröhlicher Klamauk und großartige Musik die Hand.

Piotr Buszewski und Bianca Tognocchi | © Kirsten Nijhof

Zwei Duellanten stehen sich in Drohgebärde gegenüber, während der Bestatter schon einmal kichernd Maß nimmt – diese Szene würde man in einem „Lucky Luke“-Comic erwarten, in Gaetano Donizettis Oper „L’elisir d’amore“ (Der Liebestrank) eher weniger. Und doch befinden wir uns unmittelbar in der ersten Leipziger Opernpremiere der neuen Saison!

Rolando Villazón, der noch vor einigen Jahren als Sänger des Nemorino mit dieser Oper grandiose Erfolge feierte, ist inzwischen – unter anderem – als Regisseur tätig und verlegt die Handlung dieser One-Hit-Oper kurzerhand an ein Western-Filmset der 40er Jahre. Dabei lässt er es sich nicht nehmen, so ziemlich alle gängigen Klischees liebevoll vorzuführen, die das Western-Genre hergibt. Die Detailverliebtheit, mit der Villazón und sein Team (Bühne: Johannes Leiacker, Kostüme: Thibault Vancraenenbroeck) zu Werke gehen, verrät seine große Begeisterung für Filme ebenso wie seine Liebe zu dieser speziellen Oper. Dabei ist auf der Bühne so viel los, dass man manchmal gar nicht weiß, wohin man zuerst schauen soll, um nichts zu verpassen.

Die schlechte Nachricht: Die Übertragung der Handlung aus einem italienischen Dorf an ein Filmset ist zwar charmant, sorgt aber unbestreitbar für mehr als ein Logikloch – gerade in zweiten Akt müsste man eher von Logik-Abgründen sprechen, die sich auftun, wenn auf einmal nicht nur der naive, aber herzensgute Nemorino nicht mehr zwischen Filmwelt und Wirklichkeit unterscheiden kann, sondern alle anderen Beteiligten ebenfalls „hinter den Kulissen“ unverdrossen ihren Originaltext singen, der aber nur im Kontext des Films Sinn ergäbe.

Die gute Nachricht: Für die Wirkung dieses unterhaltsamen Spektakels ist dies völlig unerheblich! Wenn Quacksalber Dulcamara mit herrlich überzogener Mimik auf seiner Pferdeattrappe vor der beweglichen Wolkentapete dahinreitet, wir Zeugen einer zünftigen Schlägerei im Saloon werden und vier Dalton-Brüder (allerdings gleich groß!) ihren Sprengstoff zünden, treten alle Bedenken weit in den Hintergrund. Der Klamauk funktioniert so wunderbar, weil Villazón genau weiß, wann Schluss mit Lustig zu sein hat. Wenn Nemrino seine schmachtende Tränen-Arie „Una furtiva lagrima“ anstimmt, hat der Spaß kurz Pause und wir erleben berührende, stille Momente voll tiefempfundener Emotion.

Dieser „Liebestrank“ im Wilden Westen funktioniert nur deshalb so gut, weil das gesamte Ensemble dieses originelle Konzept mit sichtbarem Spaß mitträgt. Mit dem polnischen Tenor Piotr Buszewski wurde ein Nemorino verpflichtet, der alles im Überfluss zu besitzen scheint, was es für diese Rolle braucht: Er spielt den unglücklich Verliebten mit einer Hingabe, die es unmöglich macht, den verpeilten jungen Mann nicht ins Herz zu schließen. Sein im besten Sinne jugendlich wirkender Tenor ist beweglich in den Koloraturen, besitzt in der tiefe ein warmes Leuchten und in der Höhe einen wunderbaren metallischen Glanz, der ihn neben die ganz Großen seines Fachs stellt.

Bianca Tognocchi gibt eine faszinierend vielschichtige Adina, deren kokette Überheblichkeit sie genauso hingebungsvoll ausspielt wie ihre spätere Verletzlichkeit. Dabei verfügt sie über einen wunderschönen Koloratursopran, mit dem sie nicht nur mühelos höchste Höhen erklimmt, sondern auch in jeder Gefühlslage andere Schattierungen hören lässt – immer schön (Belcanto!), niemals einförmig oder gar langweilig. Eine wirklich großartige Leistung!

Sejong Chang hat in seiner Doppelrolle als Regisseur und Quacksalber die Lacher stets auf seiner Seite und entpuppt sich vor allem im zweiten Akt als begnadeter Komiker. Nach einem noch etwas durchwachsenen ersten Akt, was rhythmische Präzision und stimmliche Durchsetzungskraft angeht, überzeugt er nach der Pause auch sängerisch voll und ganz. Jonathan Michie hat ebenfalls ein wenig mit dem Timing zu kämpfen, spielt und singt den überheblichen Sergeanten Belcore aber ebenfalls sehr überzeugend. Sandra Maxheimer komplettiert mit Spielwitz und geschmeidigem Mezzo das hervorragende Solistenquintett.

Der Chor ist mit sichtbarem Spaß am Schauspielern bei der Sache und singt zumeist homogen und klanglich sehr gut ausbalanciert, gerät aber manchmal rhythmisch aus der Spur, was letztlich der Dirigentin des Abends mit anzulasten ist. Giedrė Šlekytė holt wunderbare Farben aus dem Gewandhausorchester und beweist viel Sinn fürs gelungene Detail, vermag es aber nicht immer, das Geschehen auf der Bühne und im Orchestergraben zusammenzuhalten. Vor allem im ersten Akt klappert es dann doch mehr, als sprichwörtlich zum Handwerk gehört.

Das Premierenpublikum ist nach dem ungewöhnlichen, charmanten Schluss restlos begeistert und bejubelt – teilweise im Stehen – einen „Liebestrank“, der durchaus das Zeug zum neuen Publikumsrenner hat.

Apropos Liebestrank: Jene Geschichte von Tristan und Isolde, die Nemorino erst den Floh mit dem Liebestrank ins Ohr gesetzt hat, ist Thema der nächsten Opernpremiere, wenn sich nämlich am 5. Oktober der Vorhang für Wagners „Tristan und Isolde“ hebt. Im Gegensatz zum umetikettierten Bourbon des durchtriebenen Dulcamara wirkt der Trank bei Wagner allerdings wirklich – bekanntlich mit tragischen Folgen.

Frank Sindermann

14. September 2019 (Premiere)
Oper Leipzig