Bilder und Rahmen

Bertrand Chamayou entzündet ein virtuoses Feuerwerk, das Gewandhausorchester lädt unter Krzysztof Urbański zum Galerierundgang.

Bertrand Chamayou © Marco Borggreve

Wenn man mit Franz Liszts Klaviermusik eines verbindet, dann wohl überbordende, vielleicht auch übertriebene Virtuosität. Während dieses technische Zauberwerk in einigen Werken gezielt in den Dienst musikalischer oder philosophischer Ideen gestellt wird – wie in der h-Moll-Sonate oder den „Années de pèlerinage“ – wirkt es in vielen von Liszts Virtuosenstücken durchaus selbstzweckhaft und eher oberflächlich.

Der Pianist Bertrand Chamayou zeigt im berühmten „Totentanz“ und der „Fantasie über ungarische Volksmelodien“ beide Facetten auf. Da gibt es die donnernden Oktavpassagen, Glissandi und andere billige (aber höllisch schwere!) Showeffekte, da gibt es aber noch viel mehr. Chamayous subtile Gestaltungskunst zeigt sich vor allem in den unscheinbaren, eher zurückgenommenen Stellen, die er als magische Klangfarben-Studien zelebriert. Hier wird Liszt als jener Innovator erkennbar, der dem Klavier ein größeres Spektrum an klanglichen Möglichkeiten eröffnet hat als irgendjemand vor ihm.

Das Orchester spielt bei Liszt gegenüber dem Klavier leider oft nur eine kleine Nebenrolle. Auch Ann-Katrin Zimmermann schreibt in ihrem Programmheftbeitrag zum Finale der „Fantasie über ungarische Volksmelodien“, das Orchester habe man „schon mit staatstragenderen Rollen vernommen“. Immerhin: Das Gewandhausorchester unter der Leitung von Krzysztof Urbański spielt seinen etwas undankbaren Part durchaus selbstbewusst und lässt immer wieder mit schönen Soli aufhorchen. Ansonsten rahmt es den Pianisten geschmackvoll ein.

Um Rahmen geht es auch nach der Pause, genauer: um gerahmte Bilder. Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ werden heute deutlich öfter in Ravels Orchesterfassung gespielt als in der originalen Version für Klavier, was sehr bedauerlich ist. Dennoch liegt die letzte Aufführung durch das Gewandhausorchester nun auch bereits gut zehn Jahre zurück. Kritiker der Orchesterfassung bemängeln vor allem die vornehme Eleganz, die Ravel dem eher rauen Klavierzyklus verliehen hat. Ich bin dazu übergegangen, die Klavier- und die Orchesterfassung einfach als völlig unabhängige Werke zu begreifen, die beide auf ihre je eigene Weise großartige Musik sind.

Krzysztof Urbańskis elegantes, nicht ganz uneitles Dirigat zeugt von einer genauen Kenntnis des Werkes und seiner Feinheiten. Interpretatorisch scheint ihm weniger an emotionalen und klanglichen Extremen zu liegen, als an einem homogenen Gesamteindruck dieses virtuellen Galerierundgangs. Überraschungen sind dabei nicht zu erwarten und bleiben auch weitestgehend aus. Dass dadurch in manchen Bildern eher deren goldener Rahmen auf Hochglanz poliert wird, ist bedauerlich; andererseits erfreut der Verzicht auf übertriebenes Pathos. Das Orchester ist heute durchweg in Bestform: Das Saxophon taucht das alte Schloss in geheimnisvolle, leicht wehmütige Stimmung, die gestopfte Trompete verleiht dem armen Schmuyle auf berührende Weise musikalisch Gestalt und die Tuilerien werden zum wahren Holzbläser-Fest. Mit dröhnenden Glockenklängen von den Emporen endet eine klangschöne Aufführung ohne nennenswerte Ecken und Kanten.

Frank Sindermann

15. Februar 2019
Gewandhaus, Großer Saal

Gewandhausorchester
Krzysztof Urbański, Dirigent
Bertrand Chamayou, Klavier