Sinfonieorchester und Rundfunkchor des MDR eröffnen unter der Leitung von Risto Joost mit Gustav Mahlers „Auferstehungssinfonie“ die neue Konzertsaison.
„Aufersteh’n, ja aufersteh’n wirst du, mein Herz, in einem Nu!“ – so heißt es in Klopstocks Text, den Gustav Mahler im letzten Satz seiner „Auferstehungssinfonie“ vertont; doch musikalisch dauert es immerhin über 80 Minuten, bis diese erlösenden Worte erklingen. Dass die Zeit an diesem Abend trotzdem wie „im Nu“ verfliegt, liegt vor allem an der hervorragenden Leistung aller Beteiligten.
Risto Joost erweist sich vor allem als energiegeladener Motivator, der die Spannungskurve über alle Brüche und Kontraste der Partitur hinweg stets aufrecht erhält und vor allem den nervösen, psychisch angespannten Aspekt der Musik betont. Dies kommt dem düster-zerrissenen Kopfsatz sehr zugute, dem tänzerischen zweiten nicht in gleichem Maße. Das MDR-Sinfonieorchester folgt Joost stets aufmerksam und bleibt über die gesamte Spieldauer der Sinfonie konzentriert und engagiert.
Besonders gefällt mir am Orchester der Mut zum Risiko, das kompromisslose Ausloten der Extreme ohne doppelten Boden. Der Lohn ist vor allem eine große emotionale Unmittelbarkeit der Musik. Wenn die Hörner tatsächlich sehr, sehr leise spielen, dann wackelt zwar vielleicht der Einsatz in einem von zehn Fällen – die anderen neun geraten dafür aber einfach traumhaft und sind den Einsatz allemal wert. Auch das oft beobachtete zaghaft klappernde „Anspringen“ von Bläserakkorden ist heute Abend kein Problem. Selbstbewusstsein ist hier alles!
Die viefältigen orchestralen Mittel der Sinfonie ermöglichen es dem Orchester, zur Saisoneröffnung an jedem Pult zu glänzen: Von zarten Pizzicato-Klängen bis durchdringenden Dies-irae-Tuben, von Vogelgezwitscher bis Ferntrompeten bietet Mahler alles auf, was an Klangeffekten gut und teuer ist – und die MDR-Sinfoniker_innen machen daraus ein wahres Fest.
Gerhild Romberger verleiht der menschlichen Pein und Sehnsucht nach dem Paradies mit würdigem Ernst Ausdruck und wirkt stets emotional engagiert, ohne dabei je ins Sentimentale oder Kitschige zu verfallen. Katharina Konradi überzeugt ebenfalls auf ganzer Linie. Besonders beeindruckend gelingt ihr der von Mahler geforderte Wechsel vom klanglichen Verschmelzen mit dem Chor zum solistischen Hervortreten.
Der MDR-Rundfunkchor muss sich zunächst gedulden und eine gute Stunde lang auf seinen Einsatz im letzten Satz warten, der dann aber umso beeindruckender gelingt. Vom zarten, geradezu mystischen A-Cappella-Einsatz im dreifachen Pianissimo bis zum durchsetzungsstarken dreifachen Forte des Finales meistert der Chor jede noch so große Herausforderung mit Bravour – besser kann dieser verboten schwere Chorpart wohl nicht gesungen werden.
Um den Chor schon früher ins Spiel zu bringen, ist heute Abend der Sinfonie eine A-cappella-Bearbeitung des Rückert-Liedes „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ vorangestellt, in der man die hohe Klangkultur des Chores bereits ausgiebig bewundern kann. Ästhetisch überzeugt mich Clytus Gottwalds Bearbeitung nicht – so schön sie auch klingen mag; zum einen ist der wunderbare Dialog zwischen Singstimme und Englischhorn in der Chorfassung komplett in der Klangfläche aufgelöst, zum anderen wird die Struktur des Stückes sehr verunklart, wenn Einleitung, Hauptteil und Nachspiel jeweils auf Text gesungen werden. Auch geht es bei dem Lied um das Gefühl eines einzelnen Menschen, der sich von der Welt abgewendet hat, was durch eine Solostimme meines Erachtens passender verkörpert wird als durch einen Chor. Da das Lied generell nicht zwingend zur nachfolgenden Sinfonie passt und Mahlers eigene Dramaturgie der monumentalen Sinfonie letztlich verfälscht, hätte man auf diesen Effekt vielleicht besser verzichtet.
Abgesehen davon lässt die heutige Aufführung kaum Wünsche offen und zeigt Sinfonieorchester und Rundfunkchor des MDR zur Saisoneröffnung in bester Verfassung. Das Publikum dankt mit begeistertem Beifall.
Frank Sindermann
16. September 2018, 19.30 Uhr
Gewandhaus, Großer Saal
MDR-Sinfonieorchester
MDR-Rundfunkchor
Risto Joost, Dirigent
Katharina Konradi, Sopran
Gerhild Romberger, Alt