Lux perpetua

Franz Welser-Möst dirigiert Verdis Requiem im ausverkauften Gewandhaus (English translation available)

Bild von lmaresz auf Pixabay

Kaum zu glauben, aber wahr: Das Gewandhausorchester hat Verdis Requiem zuletzt im Jahr 1960 aufgeführt! Das deutlich zu lange lange Warten hat sich aber gelohnt: auf einem höheren musikalischen Niveau wird man dieses Werk aktuell schwerlich hören können.

Das Gewandhausorchester spielt den anspruchsvollen Orchesterpart präzise und farbig, hält die Spannung bis zum Schluss und reagiert wach auf die Versuche des Dirigenten Franz Welser-Möst, seinen vorauseilenden Tenor wieder einzufangen. Dieses ist vor allem in der ersten halben Stunde immer wieder nötig, da Limmie Pulliam sich leider nicht davon abbringen lässt, sein eigenes (schnelleres) Tempo zu fahren. Mit seinem durchdringenden, metallischen Organ bringt Pulliam alle Voraussetzungen mit; leider macht ihm aber die Aufregung öfter einen Strich durch die Rechnung. Abgesehen von seiner Nervosität irritert der Sänger allerdings auch sonst, so zB durch lautes Husten während eines Solos seiner Kollegin Deniz Uzun. Dies ist umso bedauerlicher, als jeder ihrer Töne unbedingt hörenswert ist. Uzun führt ihre ausdrucksstarke, warme Mezzosopran-Stimme in immer neue Gefühlsregionen und wird dem theatralischen, musikdramatischen Gehalt des Requiems in besonderem Maß gerecht. Wunderbar auch ihr perfektes Zusammenspiel mit der großartigen Asmik Grigorian, die nicht nur stimmlich das ewige Licht herbeisingt, sondern das Publikum auch emotional zu berühren versteht. Ein klangschöneres, innigeres „Libera me“ habe ich nie zuvor gehört, schon gar nicht live. Punkt. Mika Kares vervollständigt das hochkarätige Solist:innenquartett. Sein kraftvoller Bass strahlt Autorität und Ernst aus, kann aber ebenso warm und einfühlsam klingen – großartig!

Der MDR-Rundfunkchor besticht durch Klangschönheit und Wandlungsfähigkeit und wird so dem geflüsterten Beginn ebenso gerecht wie den Exzessen des Dies irae. Leider ist der Chor nicht immer optimal zu hören, wie auch ganz allgemein die klangliche Balance nicht immer überzeugt. In den lauten Tutti-Passagen, aber auch schon ganz zu Anfang, übertönt das Orchester mitunter den Chor und lässt damit manche Nuancen unter den Tisch fallen. Anders gesagt: Es nützt nichts, wenn der Chor sein erstes „Requiem“ extrem leise flüstert, wenn das Orchester gleichzeitig lauter spielt. Franz Welser-Möst geht das Werk dramatisch an und bevorzugt ein eher rasches Tempo. Seine Lesart ist effektvoll und zupackend – das göttliche Licht scheint hier sozusagen nicht durch Buntglasfenster auf den Kirchenboden, sondern wird von Scheinwerfern auf die Opernbühne gestrahlt. Den Fokus auf die opernhaften Elemente zu legen, ist völlig legitim, wenn das Konzept so konsequent umgesetzt wird wie in diesem Fall. Nachdem der Schlussakkord verklungen ist, hält der Dirigent die Spannung noch lange aufrecht, bevor der begeisterte Applaus losbricht. Standing Ovations und langanhaltender Jubel sind der Dank für einen zwar nicht perfekten, aber dennoch herausragenden Konzertabend.

(Frank Sindermann)

English translation

It’s hard to believe, but true: The Gewandhaus Orchestra last performed Verdi’s Requiem in 1960! However, the exceedingly long wait was worth it: it would be difficult to hear this work performed at a higher musical level currently.

The Gewandhaus Orchestra plays the challenging orchestral part precisely and colorfully, maintains tension until the end, and is alert to the conductor Franz Welser-Möst’s attempts to catch up with his runaway tenor. This is especially necessary during the first half-hour, as Limmie Pulliam unfortunately insists on setting his own (faster) pace. With his penetrating, metallic voice, Pulliam has all the prerequisites; however, nervousness often spoils his performance. Apart from that, the singer is also otherwise distracting, such as loudly coughing during a solo of his colleague Deniz Uzun. This is all the more regrettable because every note of hers is worth listening to. Uzun leads her expressive, warm mezzo-soprano voice into ever new emotional territories and fulfills the theatrical, music-dramatic content of the Requiem to a special extent. Her perfect interplay with the wonderful Asmik Grigorian, who not only vocally summons the eternal light but also knows how to touch the audience emotionally, is marvelous. I have never heard a more beautiful, more heartfelt “Libera me,” certainly not live. Mika Kares completes the high-caliber soloist quartet. His powerful bass radiates authority and seriousness but can also sound warm and empathetic – magnificent!

The MDR radio choir impresses with its sound beauty and versatility, doing justice to both the whispered beginning and the excesses of the Dies Irae. Unfortunately, the choir is not always optimally heard, as is the case with the overall sound balance not always convincing. In loud tutti passages, and even at the very beginning, the orchestra sometimes drowns out the choir, losing some nuances in the process. In other words: It’s futile if the choir whispers its first „Requiem“ extremely softly while the orchestra plays louder at the same time. Franz Welser-Möst approaches the work dramatically and prefers a rather rapid tempo. His interpretation is effective and gripping – divine light here is not so much shining through stained glass windows onto the church floor as it is being spotlighted onto the opera stage. Focusing on the operatic elements is completely legitimate when the concept is implemented as consistently as in this case. After the final chord has faded, the conductor keeps the tension high for a long time before the enthusiastic applause breaks out. Standing ovations and prolonged cheers are the thanks for a concert evening that, although not perfect, is still outstanding.

(Frank Sindermann)

Donnerstag, 11. April 2024
Gewandhaus, Großer Saal
Giuseppe Verdi: Messa da Requiem

Gewandhausorchester
MDR-Rundfunkchor
Asmik Grigorian, Sopran
Deniz Uzun, Mezzosopran
Limmie Pulliam, Tenor
Mika Kares, Bass
Franz Welser-Möst, Dirigent

Schlicht und ergreifend

Im ersten Konzert der neuen MDR-Saison erklingen geistliche Werke des jungen Puccini und des alten Verdi in mustergültigen Interpretationen.

Dirigent Domingo Hindoyan | © MDR/Hagen Wolf

Es ist ein spannendes und klug durchdachtes Programm, mit dem der MDR seine neue Konzertsaison beginnt: Vor der Pause erklingt mit Puccinis „Messa di Gloria“ das Werk eines jungen Kirchenmusikers auf dem Weg zur Oper, nach der Pause zeigen Verdis „Quattro pezzi sacri“ einen alten Mann, der die Oper fast hinter sich gelassen hat.

Mit Domingo Hindoyan konnte ein hervorragender Dirigent verpflichtet werden, der die Musik offenkundig wichtiger nimmt als sich selbst und alle Beteiligten zu Höchstleistungen motiviert. Mit eleganten, fließenden Handbewegungen und bewundernswertem Feingefühl führt er Orchester und Chor durch die kontrastreichen Werke und verliert bei aller Detailarbeit doch nie den Spannungsbogen aus den Augen. Vor allem aber wahrt er stets eine ausgezeichnete klangliche Balance innerhalb der Orchestergruppen, aber auch im Zusammenspiel mit dem Chor. Selbst im lautesten Tutti verschwimmt nichts, geht nichts unter, bleibt alles transparent.

Das MDR-Sinfonieorchester zeigt sich heute von seiner allerbesten Seite. Strahlende Blechbläser-Fanfaren, samtig-weiche Streicher, bei denen jedes Pizzicato perfekt sitzt, und ein wunderbar homogen spielendes Horn-Quartett sind nur einige Beispiele für das exzellente Niveau des Orchesters – neben geschmackvollen Holzbläsersoli, präzisen Paukenschlägen etc. Besonders hervorheben möchte ich noch das Vermögen und die Bereitschaft aller Beteiligten, auch einmal WIRKLICH leise zu spielen.

Der MDR-Rundfunkchor lässt weder in den berührenden A-cappella-Sätzen, noch im Zusammenspiel mit dem Orchester irgendwelche Wünsche offen. Technische Perfektion und tiefempfundener Ausdruck verleihen der Musik eine innere Spannung, der sich auch das Publikum nicht entziehen kann. Immer wieder ist es völlig still im Saal, und wenn nicht in Ermangelung einer fallenden Stecknadel hin und wieder Bonbongeknispel zu hören wäre, könnte man fast vergessen, dass Hunderte von Menschen der Musik lauschen.

Auch bei den Solisten gibt es rein gar nichts zu beanstanden: Sung Min Songs schlanker, warmer Tenor verleiht dem „Gratias agimus tibi“ genau jenen Ausdruck schlichter Dankbarkeit, den Text und Musik verlangen; Bassbariton Milan Siljanov überzeugt im „Benedictus“ mit würdevollem Ernst. Auch Chorsolistin Katharina Kunz sorgt in ihrer kurzen, aber wichtigen Solopartie am Schluss noch einmal für einen besonderen Moment.

Der begeisterte Applaus am Ende bestätigt meinen Eindruck: Besser kann eine Saison gar nicht starten!

Frank Sindermann

Hinweis: Am 15. September 2019 wird ab 19.30 Uhr ein Mitschnitt des Konzerts auf MDR Kultur und MDR Klassik gesendet. Anhören!

8. September 2019
Gewandhaus, Großer Saal

MDR-Sinfonieorchester
MDR-Rundfunkchor
Domingo Hindoyan, Dirigent
Sung Min Song, Tenor
Milan Siljanov, Bariton
Katharina Kunz, Sopran