Ein bisschen Spaß muss sein: Michiel Dijkema inszeniert Wagners „Fliegenden Holländer“ als unterhaltsame Technik-Show.

Foto: Tom Schulze

Gut elf Jahre liegt die letzte Leipziger Inszenierung des „Fliegenden Holländers“ nun bereits zurück und wird doch für viele unvergessen bleiben: Kampfhund- und Schlachthausvideos, viel nackte Haut und Blut auf der Bühne sowie ein Hauptdarsteller, der nach der Premiere das Handtuch warf, sorgten damals für einen handfesten Opern-Skandal und brachten dem jungen Regisseur Michael von zur Mühlen das ein, was man heute einen Shitstorm nennen würde. Vor diesem Hintergrund kann man Michiel Dijkemas aktuelle Inszenierung durchaus als Entschuldigung an das Leipziger Publikum verstehen.

Dijkema verzichtet konsequent auf jegliche Aktualisierung der Handlung, was er im Programmheftbeitrag plausibel damit begründet, dass Sentas romantische Schwärmerei im 19. Jahrhundert glaubhafter sei als in unserer Zeit. Überdies bricht er das Werk ironisch, indem er beispielsweise Auszüge aus einem Romanfragment Heinrich Heines auf die Bühne projizieren lässt und so eine Art Theater im Theater aufbaut. Der vielfach im Feuilleton geäußerte Vorwurf, Dijkema präsentiere eine verstaubte Märchenbuch-Version des „Holländers“, teile ich überhaupt nicht. Eher wirkt es auf mich, als traue der Regisseur der Handlung mit ihrem veralteten Frauenbild nicht so recht und setze sie deshalb augenzwinkernd in einen Theaterrahmen von anno dazumal.

Dazu gehört auch jener technische Bühnenzauber, der heute etwas altmodisch anmutet, seine Wirkung aber nach wie vor nicht verfehlt. Und Dijkema greift in die Vollen: Da zeigen gigantische Spinnräder die Industrialisierung, imposante Wale werden mit dem Holländer an Land gespült – allerdings nicht mit Plastik, sondern Goldschätzen im Bauch -, und am Ende zerfällt der Holländer dramatisch zu Staub. Dazwischen fahren Kulissenzüge wie Takelage auf und ab, die Drehbühne dreht, hebt und senkt sich im Seegang und Leinwände zeigen beeindruckende Projektionen.

Und dann ist da natürlich noch das Schiff, jenes Geisterschiff mit blutroten Segeln, das der Förderkreis der Oper Leipzig mit sagenhaften 100.000 € finanziert hat. Wie es im dritten Akt auf die Bühne geschoben wird, bis es weit in den Zuschauerraum hineinragt, gehört zum Beeindruckendsten, was ich je auf einer Theaterbühne gesehen habe. Nicht nur ich: Kaum taucht das Schiff aus dem Bühnennebel auf, werden Handys gezückt, um den Effekt mitzufilmen, es wird geraunt, und am Ende gibt es sogar Szenenapplaus – für Bühnentechnik! Das ist sicherlich übertrieben, aber zugegebenermaßen auch ganz großes Kino.

Leider geht diese Show auf Kosten der Musik. Der an sich beeindruckende aufgestockte Herrenchor der Oper Leipzig gerät im Tumult gehörig aus dem Tritt, und es tröstet nicht wirklich, dass ohnehin fast niemand zuhört. Auch sonst ist der „Holländer“ musikalisch etwas durchwachsen. Christiane Libor gibt eine grandiose Senta, die stimmlich und darstellerisch schon in der berühmten Ballade beeindruckt, im Finale aber endgültig zur Höchstform aufläuft. Schon als Brünnhilde im Leipziger Ring hat sie gezeigt, dass ihr die leisen, zarten Töne ebenso gut gelingen wie die kraftraubenden dramatischeren Partien, und dies beweist sie heute erneut. Eine hervorragende Leistung, auch schauspielerisch, wie man sie sonst nur an den größten Opernhäusern erleben kann. Brava!

Iain Paterson bleibt der Titelpartie hingegen leider einiges schuldig. So ist er stimmlich zu Anfang nicht ganz auf der Höhe und zeigt erst im letzten Akt seine Qualitäten. Vor allem bleibt er aber darstellerisch blass und verleiht dem Holländer keine eigene Perönlichkeit. Eine deutlich größere Bühnenpräsenz hat Randall Jakobsh als Daland, der Sentas kuppelnden Vater mit warm timbriertem Bass und komödiantischem Spiel zum Sympathieträger macht und so dem Holländer fast die Show stiehlt. Ladislav Elgr überzeugt als Erik bei seinem ersten Auftritt deutlich mehr als im letzten Akt, wo er hörbar zu kämpfen hat. Karin Lovelius als Mary und Dan Karlström als Steuermann liefern rundum überzeugende Rollenporträts ab.

Das Gewandhausorchester unter Christoph Gedschold spielt einen farbigen, eleganten Wagner und passt damit tadellos zu Dijkemas wenig gruseliger Lesart des „Holländers“, der stellenweise eher wie ein komische Oper wirkt. Dennoch hätte ich mir manche Passage doch noch etwas energischer und zupackender gewünscht.

Leipzig hat also wieder einen „Fliegenden Holländer“, der vor allem durch atemberaubende Bilder besticht, das etwas abgetakelte Geisteropern-Schiff durch eine leicht ironische Sicht der Dinge wieder flott macht und vor allem mit einer grandiosen Senta aufwarten kann. Der Applaus nach der Aufführung ist jedenfalls begeistert und ich stelle fest: Entschuldigung angenommen.

Frank Sindermann

30. Mai 2019 (5. Vorstellung)
Oper Leipzig

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