Im Rausch der Farben

Mit einer herrlich bunten, musikalisch hervorragenden „Verkauften Braut“ stimmt die Oper Leipzig auf den Sommer ein.

Solistenensemble, Komparserie, Chor der Oper Leipzig © Kirsten Nijhof

Die Deutschen, so hört und liest man es immer wieder, sind in Sachen Humor nicht gerade Weltmeister und gehen zum Lachen in den Keller. Wenn etwas tatsächlich einmal für komisch befunden wird, hat gefälligst ein sogenannter tieferer Sinn im Spaß zu stecken bzw. ist es erforderlich, unter einer vermeintlich harmlosen Oberfläche das Abgründige zu suchen. Ansonsten kann, wie es der wunderbare Loriot formuliert hat, „die Gefahr der Unterhaltung nicht ganz ausgeschlossen“ werden. Schlimmstenfalls droht sogar, wie es Peter Korfmacher in der LVZ nennt, „rückhaltloses Amüsiertheater“, was glatt als Beleidigung durchgehen kann.

Nun ist es durchaus legitim, die überkommenen sozialen Strukturen in Smetanas Verwechslungskomödie zu hinterfragen und Hans’ wenig einfühlsames Handeln seiner Geliebten gegenüber in den Vordergrund zu rücken – dies sehe ich hingegen nicht als Verpflichtung, sondern eher als eine von vielen Optionen, sich mit der Oper auseinanderzusetzen.

Auch Regisseur Christian von Goetz verlangt in seinem Programmheft-Beitrag, dass man „die Tiefen des Stücks betonen“ müsse, liefert am Ende aber vor allem eine urkomischen Bühnenshow ab, die in erster Linie das „Entertainmentpotenzial“ einlöst, von dem er selbst spricht. Die Bühne beim Soloauftritt Maries in blaues Licht zu tauchen, reicht für sich genommen nicht aus, um ein deutliches Gegengewicht zum zirkusmäßigen Umfeld herzustellen.

Mich stört das weniger: Ich fühle mich bestens unterhalten und ertappe mich stellenweise bei minutenlangem Dauergrinsen. Dies gilt vor allem in den Szenen mit dem halbseidenen Heiratsvermittler Kezal, den der fantastische Sebastian Pilgrim mit sonorer, geschmeidiger Stimme und ansteckender Spiellaune verkörpert. Wie er als Kezal zwanghaft fröhlich mit Konfetti wirft, mit tiefsten Tönen und übertrieben ausgesungenen Verzierungen kokettiert oder den Frust des Heiratsvermittlers zeigt, wenn einmal etwas nicht nach Plan läuft, macht einfach nur Spaß.

Magdalena Hinterdobler tariert in ihrem Rollendebüt als Marie gekonnt die lyrische und die komische Seite der Rolle aus und wechselt souverän zwischen berührendem Belcanto-Wohlklang und soubrettenhafter Leichtigkeit und verleiht ihrer Figur darstellerisch jene charmante Widerborstigkeit, die lyrischen Sopranen oft vorenthalten bleibt. Eine ganz hervorragende Leistung, die in jeder Hinsicht überzeugt.

Patrick Vogel singt und spielt einen jugendlichen Hans, dem eigentlich niemand böse sein kann und dessen moralisch fragwürdiger Handel mit Kezal eher wie ein spontaner Dummejungenstreich denn ein kaltschnäuziger Plan wirkt. Vogels heller Tenor überzeugt in der Höhe mit großer Strahlkraft und verfügt in der Mittellage über Leichtigkeit und Eleganz.

Auch in den übrigen Rollen bleiben keine Wünsche offen. Hervorzuheben ist vor allem Sven Hjörleifsson, der das Muttersöhnchen Wenzel und dessen Emanzipation von der Muter mit Witz und Herz spielt und singt. Dass komponiertes Stottern auch im 21. Jahrhundert noch allgemein belacht wird, ist nicht seine Schuld, gehört für mich aber zu den wenigen Aspekten der Oper, die nicht zeitlos sind.

Sandra Maxheimer und Franz Xaver Schlecht sind als Maries verunsicherte Eltern ebenfalls sehr gut besetzt, werden allerdings mitunter von Sebastian Pilgrims besonders großer Bühnenpräsenz etwas in den Hintergrund gedrängt. Martin Petzold überzeugt als abgehalfterter Zirkusdirektor Springer ebenfalls auf ganzer Linie.

Der Chor macht seinem exzellenten Ruf erneut alle Ehre und wird den hohen musikalischen Anforderungen der Oper ebenso gerecht wie den szenischen des Regisseurs, der ihn einmal vor einem Bären fliehen, ein anderes Mal sackhüpfen lässt.

Ohnehin ist eine Menge los auf der multifunktionalen Bühne Dieter Richters, die sich immer wieder wie ein Karussell von Szene zu Szene dreht und durch eine durchsichtige Wand manchmal auch Geschnisse in Nebenräumen zeigt. Mir ist die Dynamik des Bühnengeschehens manchmal etwas zu viel des Guten, aber gerade in der Zirkusszene entfaltet das bunte Treiben samt waschechten Artisten eine ganz eigene Faszination.

Ein ganz besonderes Lob gebührt Sarah Mittenbühler und ihrem Team für die fantasievollen und enorm aufwändigen Kostüme, von denen keines dem anderen zu gleichen scheint. Zusammen mit dem grellen Make-up und den kurios windschiefen Frisuren passt auch dieser Teil der Ausstattung ganz wunderbar ins Gesamtbild.

Das Gewandhausorchester unter der inspirierten und umsichtigen Leitung Christoph Gedscholds beweist schon in der höllisch schweren Ouvertüre, in welcher Bestform es heute spielt. Da klappert nichts, die wahnwitzig schnellen Läufe schnurren ab wie ein Uhrwerk und auch im weiteren Verlauf des Abends ist es eine wahre Freude, sich hin und wieder vom Bühnenspektakel ab- und dem Orchestergraben zuzuwenden, aus dem es glänzt und blitzt, poltert und stampft, sich verdunkelt und erstrahlt. Oder wie es am Ende des ersten Aktes heißt:

Violin’ und Klarinette
Jauchzen trillernd um die Wette
Selbst dem alten Rumpelbass
Macht das tolle Wesen Spass.

Frank Sindermann

15. Juni 2019 (Premiere)
Oper Leipzig

Fokus Böhmen: Smetana

Alan Gilbert dirigiert Smetana für Groß und Klein; Malte Arkona liest aus dem Tagebuch von Friedrich Sahne und hört ein Fagott schnarchen.

Mündung der Moldau © Hans Weingartz

Wenn in einem einzigen Konzertprogramm auf musikalische Weise von prächtigen Burgen, tanzenden Nixen, reißenden Stromschnellen, kriegerischen Amazonen, schnarchenden Rittern, Feldern und Wäldern sowie den Hussitenkriegen erzählt wird, dann steht ganz eindeutig Bedřich Smetanas Tondichtung „Má Vlast“ auf dem Programm. Während die unverwüstliche „Moldau“ nach wie vor regelmäßig gespielt wird, sind die übrigen fünf sinfonischen Dichtungen des Zyklus hierzulande eher selten zu hören. Im Rahmen des Saisonschwerpunkts „Fokus Böhmen“ erklingt das gesamte Werk nun erstmals seit zehn Jahren im Gewandhaus.

Alan Gilbert ist kein Dirigent der Extreme. Statt den durchaus vorhandenen kitschigen und pathetischen Zügen der Musik allzu sehr nachzugeben, sucht er inmitten von Triangel-Gebimmel und Paukenschlägen erfolgreich nach den feineren musikalischen Details und demonstriert auf diese Weise eindrucksvoll Smetanas melodischen Erfindungsreichtum, vor allem aber seine große Instrumentationskunst. Vom geheimnisvollen „Es war einmal“ der Harfe im eröffnenden „Vyšehrad“ bis zum Siegestaumel am Schluss von „Blaník“ spannt Gilbert einen überzeugenden dramaturgischen Bogen, der die vielfältigen Eindrücke und emotionalen Kontraste mühelos zusammenhält. 

Das Gewandhausorchester ist stilistisch in dieser Musik zu Hause und das merkt man ihm auch durchweg an. Angesichts der zahlreichen Solopassagen und Herausforderungen für nahezu alle Instrumente fällt es schwer, die Leistung der Musiker_innen individuell zu würdigen; stellvertretend seien hier die grandiosen Holzbläser genannt, die nicht nur zu Beginn der „Moldau“ virtuos die Quellen sprudeln lassen (Flöte, Klarinette), sondern auch den Gesang eines Hirtenjungen in „Blaník“ (Oboe, Klarinette) oder das Schnarchen des Prinzen Ctirad in „Šárka“ kongenial zum Leben erwecken.

Auch im Familienkonzert am Samstag Nachmittag geht es dann um jenes Schnarchen, das sich Moderator Malte Arkona erst einmal vom Fagottisten Eckehard Kupke einzeln vorspielen lässt. Im Wanderoutfit führt Arkona die Kinder und Erwachsenen durch die böhmische Landschaft und erzählt etwas über den Komponisten und sein Werk. Die immer wieder eingestreuten launigen Bemerkungen bereiten dabei nicht nur den Kindern Spaß: So bezeichnet er die Streichergruppe mal als Streichelzoo, mal als Streichelorchester, sinniert über die Vorteile der 2. Violine, falls man die erste einmal verlegt habe, wundert sich darüber, dass man mit Holzblasen Geld verdienen könne und erzählt, dass Smetanas Name übersetzt „Sahne“ bedeute.

Die Kinder lauschen von ihren eigens ausgegebenen Sitzerhöhungen aus gebannt und sind auch während der Musikdarbietungen recht konzentriert bei der Sache. Manche setzen die selbst gebastelten blickdichten Hörbrillen auf, um sich nicht durch die Augen ablenken zu lassen, andere dirigieren hingegen fleißig mit.

Als Ort zum Staunen und Entdecken zeigt sich das Gewandhaus bereits vor dem eigentlichen Konzert, indem es den großen und kleinen Besucher_innen die Möglichkeit bietet, Instrumente selbst auszuprobieren oder die Bastelstation zu besuchen und sich so das imposante Gebäude auf spielerische Art zu erschließen. 

Das Programmheft mit seinen Rätseln und Illustrationen lädt dazu ein, sich auch nach dem Konzert weiter mit Smetana und seinem Werk zu beschäftigen. An einer Stelle ist zu lesen: „Smetana heißt übersetzt »Sahne«, erste Sahne klingt auch seine Musik.“ Dies stimmt natürlich und gilt vor allem, wenn sie so gut gespielt und so liebevoll vermittelt wird wie in den Großen Concerten dieser Woche.

Frank Sindermann

22./24. November 2018
Gewandhaus, Großer Saal

Gewandhausorchester
Alan Gilbert, Dirigent
Malte Arkona, Moderation (24.11.)